Klassifikation der Linien

Die Klassifikation der Linien beruht bei Möbius allein darauf, daß eine Linie entweder genau zwei Endpunkte hat oder gar keinen. Ein Nachweis dieser Aussage fehlt, sie ergibt sich aber aus folgender kombinatorischen Überlegung, die in Analogie zum zweidimensionalen Fall steht. Sei also [wie oben] eine zusammenhängende kombinatorische Struktur mit endlich vielen Punkten gegeben, so daß jeder Punkt zu einem oder zwei Blöcken gehört, im ersteren Fall heiße der Punkt Endpunkt. Ferner bestehe jeder Block aus genau zwei Punkten, die kombinatorische Struktur sei also ein Graph. Eine Reduktion gemäß (4) führt nach endlich vielen Schritten zu einer Struktur, so daß ein beliebiger Block gar keinen oder alle zwei Punkte mit einem andern Block gemeinsam hat.

Die Konstruktion eines Ausgangsschemas, wie bei den Flächen, gibt es bei Möbius nicht. Es spricht aber nichts dagegen, auf einer Linie eine Morsefunktion zu betrachten. Man benötigt aber den Satz für implizite Funktionen und damit den modernen Begriff der 1-Mannigfaltigkeit, um zu sehen, daß ein unkritisches Niveau einer Morsefunktion aus isolierten Punkten besteht. Dann kann man eine Zerlegung wie im zweidimensionalen Fall angeben und leicht zeigen, daß die Konstituenten dieser Zerlegung alle zu einem abgeschlossenen Intervall homöomorph sind. Ein solches repräsentiert die einzige Homöomorphieklasse eindimensionaler Grundformen und hat genau zwei Punkte als Rand. Daß die Zahl der kritischen Punkte und damit die Zerlegung endlich ist, wird durch die "Kompaktheit" gewährleistet, und diese ist bei abgeschlossenen Linien gleichbedeutend mit der bei Möbius geforderten endlichen Länge.

Im übrigen ist im eindimensionalen Fall leicht zu verifizieren, daß die Zusammensetzung zweier Grundformen gemäß (4) wieder eine Grundform ergibt und jeder Homöomorphismus zwischen den Rändern zweier Grundformen zu einem Homöomorphismus zwischen den Grundformen selber erweitert werden kann. Ähnlich bemerkt auch Möbius [§.2]:

Jeder Linie l, welche von endlicher Länge ist, ist jede andere Linie l' von endlicher Länge elem. verwandt. ... - Hierbei werden also immer den zwei Endpunkten von l die zwei Endpunkte von l' entsprechen, und es steht in unserer Willkür, welchen der beiden Endpunkte von l' wir dem einen und welchen dem andern Endpunkte von l entsprechend setzen wollen.

Die Überlegung wird zur Klassifikation durch die Bemerkung, daß keine andere Linie, d.i. unter diesen Bedingungen eine Linie mit zwei Endpunkten, einer Linie ohne Endpunkte elementar verwandt sein kann. Das ist klar, weil es darin keinen Punkt gibt, der einem Endpunkt der anderen Linie entsprechen kann. Möbius drückt das folgendermaßen aus:

Wenn eine Linie von endlicher Länge eine geschlossene ist, und daher an jedes ihrer Elemente ohne Ausnahme zwei andere Elemente derselben grenzen, so wird jede andere in sich zurücklaufende Linie von endlicher Länge, und nur eine solche, der erstern elementar verwandt zu nennen sein.

Die Darstellung der Klassifikation der Linien ist nicht sehr elegant. An dieser Stelle merkt man, daß Möbius von den Flächen ausgegangen ist und erst kurzfristig einen allgemeinen Zusammenhang hergestellt hat.

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