Klassifikation der geschlossenen Flächen

Die Klassifikation der Flächen beruht bei Möbius in erster Linie auf den oben skizzierten Überlegungen zum Schema einer Fläche. In der Sprache von Möbius wird nicht zwischen den abstrakten Objekten einer kombinatorischen Struktur und den entsprechenden geometrischen Objekten Grenzlinie und Grundform unterschieden. Die Rechtfertigung dafür baut aber auf Resultaten der Topologie ebener Flächen auf, die bei Möbius sehr lückenhaft begründet sind. Ohne diese Resultate zu benutzen, kann man die notwendigen Aussagen auch mit elementaren Methoden der Analysis ableiten. Eine Grundform ist dann nicht wie bei Möbius eine von endlich vielen geschlossenen Linien begrenzte Fläche, die in die Ebene eingebettet werden kann, sondern Element der Homöomorphieklasse einer der Standardgrundformen, die explizit angegeben werden müssen.

Zunächst ist sicherzustellen, daß jedes Schema der Fläche j in folgendem Sinne einer Zerlegung von j entspricht. Die Menge der Punkte eines Schemas entspreche umkehrbar eindeutig einem System geschlossener Linien in j , die sich nicht schneiden. Jedem Block des Schemas entspreche umkehrbar eindeutig ein zusammenhängender Teil von j , der genau diejenigen geschlossenen Linien, die den Punkten des Blocks entsprechen, enthält, so daß sie seinen Rand bilden. Das Ausgangsschema ist so entwickelt worden, daß diese Entsprechung direkt erfüllt wird. Bei der Verknüpfung zweier Blöcke ist auch unmittelbar zu erkennen, wie die Entsprechung modifiziert werden muß. Um zu sehen, daß auch nach der Aufspaltung eines Blocks eine solche Entsprechung existiert, benötigen wir folgenden Satz.

(6) Sei G eine Grundform. Dann gibt es zu jeder Zerlegung A1+A2 der Menge ihrer Grenzlinien eine geschlossene Linie x in G, so daß A1+x und x+A2 zwei Flächenstücke beranden, die zusammen G ergeben.

Dann ergibt sich nach den obigen Überlegungen am Schema folgender Satz von Möbius [§.15]: ... eine geschlossene Fläche lässt sich immer durch eine gewisse Anzahl auf ihr gezogener geschlossener Linien in zwei Grundformen zerlegen, deren jede von allen diesen Linien begrenzt ist und daher eine der Zahl der Linien gleiche Classenzahl hat. Nach derselben Zahl wollen wir nun auch die geschlossenen Linien selbst classificiren und eine geschlossene Fläche der nten Classe diejenige nennen, welche in zwei Grundformen der nten Classe zerlegbar ist.

Es ist nun weder klar, daß n wohldefiniert ist, noch daß zwei Flächen unterschiedlicher Klassen topologisch verschieden sind. Diese beiden Aussagen sind äquivalent. Sei nämlich j eine geschlossene Fläche der n-ten Klasse und n wohldefiniert, dann besteht jedes Linsenmodell von j aus n Punkten und zwei Blöcken. Ein Schema von j überträgt sich übrigens auf jedes homöomorphe Bild j', weil die zum Schema gehörige Zerlegung von j, die aus geschlossenen Linien und zusammenhängenden Flächenstücken in j besteht, in eine ebensolche in j' übergeht. Daher gehört auch j' zur n-ten Klasse und geschlossene Flächen verschiedener Klassen sind topologisch verschieden. Sei umgekehrt vorausgesetzt, daß geschlossene Flächen verschiedener Klassen topologisch verschieden sind, dann kann ein und dieselbe Fläche nicht verschiedenen Klassen angehören.

Ein Nachweis dieser Aussage, die die Klassenzahl einer Fläche als topologische Charakteristik erweist, gelingt Möbius nicht. Er folgert vielmehr in einem Zirkelschluß jede der beiden äquivalenten Formulierungen aus der jeweils anderen. Unter Benutzung der anschaulichen Tatsache, daß jede geschlossene Linie auf der Kugelfläche diese in zwei Teile teilt, zeigt Möbius [§.17 mit fig. 17] zunächst, daß Kugelfläche und Torus nicht in elementar verwandtschaftliche Beziehung gebracht werden können.

Auf ganz ähnliche Art, wie jetzt für eine Fläche der ersten und eine der zweiten Classe, lässt sich nun auch für zwei Flächen j und j', welche verschiedenen Classen überhaupt, es sei der mten und der (m+n)ten, angehören, der Beweis führen, dass sie einander nicht el. verwandt seyn können. Denn auf j' lassen sich nach vor.§ m+n-1 geschlossene Linien, also um so mehr m dergleichen Linien a', b', .., m' ziehen, welche die j' nicht in Theile zerlegen. Unter Voraussetzung der el. Verwandtschaft zwischen j und j' seyen a, b,.., m die jenen Linien entsprechenden Linien auf j. Durch letztere wird aber die j, als Fläche der mten Classe, in wenigstens zwei Theile geteilt, und man trifft nun nach Annahme zweier Punkte P, Q, welche in zwei verschiedenen Theilen von j liegen, und mittelst der entsprechenden Punkte P', Q' in der ungetheilt gebliebenen Fläche j' auf denselben Widerspruch wie vorhin, dass sich nämlich auf j' von P' bis Q' eine den Linien a', b', ..,m' nicht begegnende Linie ziehen lässt, während die entsprechende Linie von P bis Q auf j wenigstens eine der Linien a, b, .., m durchgehen würde.

Aus dem jetzt Bewiesenen ziehen wir noch den Schluss, dass je zwei el. verwandte Flächen zu einer und derselben Classe gehören.

Zusatz. Bei den unendlich vielen Arten, auf welche eine geschlossene Fläche in zwei Grundformen zerlegt werden kann, ist es ohne weitere Untersuchung recht wohl denkbar, dass eine und dieselbe Fläche das einemal durch gewisse n Linien und das anderemal durch gewisse n' Linien in zwei Grundformen getheilt werden und folglich zwei verschiedenen Classen, der nten und n'ten, zugleich angehören könne. Einer solchen Annahme widerstreitet aber das eben Erwiesene, als wonach eine und dieselbe und daher sich selbst el. verwandte Fläche nicht zu zwei verschiedenen Classen zugleich gerechnet werden kann.

Hier würde man einen Hinweis auf Riemann erwarten [Scholz 1980, 382, n.5], in dessen Zusammenhangstheorie im wesentlichen die Wohlbestimmtheit der Klassenzahl von Möbius enthalten ist. Daß ein solcher Hinweis bei Möbius unterbleibt, kann nicht auf seine Zurückgezogenheit von der mathematischen Fachwelt zurückgeführt werden, denn zur fraglichen Zeit hat Möbius das Borchardtsche Journal gelesen [cf. 1862, 1] und Aufsätze von ihm wurden darin gedruckt [u.a. 1853, Nachdruck 1856]. Riemann [1857, 85] definiert dort:

Wenn in einer Fläche F sich n geschlossene Curven a1, a2, ...,an ziehen lassen, welche weder für sich noch mit einander einen Theil dieser Fläche F vollständig begrenzen, mit deren Zuziehung aber jede andere geschlossene Curve die vollständige Begrenzung eines Theils der Fläche F bilden kann, so heißt die Fläche eine (n+1)fach zusammenhangende.

Diese Zusammenhangszahl, die nur einer von drei verschiedenen Definitionen bei Riemann entspricht, ist offensichtlich mit der Klassenzahl von Möbius identisch. Ihre Wohlbestimmtheit wird von Riemann begründet, die Existenz des Kurvensystems jedoch vorausgesetzt [Bollinger 1872, 103]. Unabhängig davon, ob er mit der Arbeit von Riemann vertraut war, muß man Möbius zugute halten, daß er die Existenz des von Riemann geforderten Kurvensystems für geschlossene Flächen auf die Existenz einer Morsefunktion zurückgeführt hat.

Der Nachweis, dass zwei Flächen der gleichen Klasse zueinander elementar verwandt sind, läßt sich im Rahmen der Überlegungen von Möbius ohne weiteres führen, wenn er auch von Möbius nicht konsequent durchdacht wird. Er schreibt lediglich [§.17]:

Je zwei geschlossene Flächen j und j', welche zu derselben Classe gehören, sind el. verwandt. Denn nach der in § 15. gegebenen Definition zweier Flächen von gleicher Classenzahl, =n, lässt sich j sowohl als j' durch n geschlossene Linien in zwei Grundformen, j in c und y, j' in c' und y', theilen, deren jede von der nten Classe ist. Diese vier Grundformen c, ..,y' sind nach § 11. einander el. verwandt, wobei je einer der n gemeinsamen Grenzlinien von c und y je eine der n gemeinsamen Grenzen von c' und y' entspricht. Es müssen daher auch auch die aus den Grundformen c und y zusammengesetzte Fläche j und die aus c' und y' zusammengesetzte j' in el. verwandtschaftliche Beziehung gebracht werden können.

Diese Andeutung ist zur strengen Durchführung eines Beweises nicht ausreichend. Grundlegend sind aber folgende beiden Aussagen, die sich bei Möbius aus der Klassifikation der ebenen Flächen ergaben.

(7) Zwei Grundformen sind genau dann elementar verwandt, wenn die Anzahl ihrer Grenzlinien übereinstimmt.

(8) Seien a und b Grundformen mit den Grenzlinien a1,...,an bzw. b1,...,bn. Dann gibt es zu jeder Permutation s von {1,...,n} einen Homöomorphismus h:a®b, so daß bs(i)=h(ai) für alle iÎ{1,...,n}.

Doch sind diese Aussagen nicht ausreichend, um den entscheidenden Satz zu beweisen, der bei Möbius nicht vorkommt und die Orientierbarkeit der Fläche voraussetzt:

(9) Sei die Zerlegung einer geschlossenen Fläche in zwei Grundformen c und y gegeben, dann gibt es einen Homöomorphismus c®y, der die gemeinsamen Grenzlinien von c und y identisch abbildet.

Es gibt dann entsprechende Homöomorphismen h1:c®y und h2:c'®y' und einen beliebigen Homöomorphismus h:c®c', so daß H:=h2°h°h1-1:y®y' auf den gemeinsamen Grenzlinien von c und y mit h übereinstimmt. Da h und H auf dem (kompakten) Durchschnitt ihrer Definitionsbereiche übereinstimmen, bilden sie zusammen den gesuchten Homöomorphismus zwischen j und j'.

Im folgenden Abschnitt gelten die Bezeichnungen K(M,r) für einen Kreis in R2 vom Radius r um den Mittelpunkt M, Ks(M,r) für die entsprechende kompakte Kreisscheibe und Kr(M,r,R) für einen kompakten Kreisring um M mit innerem Radius r und äußerem Radius R. Seien nun also die zweidimensionalen Grundformen der n-ten Klasse definiert als die Homöomorphieklasse folgender Standardgrundform SGn in R2 oder C.

SGn={(x,y)Î R2:x2+y2£1 und (x-xi)2+y2³ri2 für 1£i£n-1}

mit xi=(2i/n)-1 und ri=1/2n.

SGn hat genau n Grenzlinien als Rand, so daß sich sofort Satz (7) ergibt. Außerdem erkennt man unmittelbar die Achsensymmetrie, so daß durch homöomorphe Selbstabbildung eine Orientierung von SGn umgekehrt werden kann.

Von einer Binion B wissen wir bereits, daß sie homöomorph zu S1´[0,1] ist. Fassen wir nun SG2 als Kr(O,1/4,1) auf, so gibt es viele Möglichkeiten, B homöomorph auf SG2 abzubilden und damit als Grundform der zweiten Klasse auszuweisen. Insbesondere gilt folgendes für die weiteren Überlegungen wichtige Lemma.

(*) Ein zur Identität homotoper Homöomorphismus h:S1®S1 läßt sich zu einem Homöomorphismus H:S1´[0,1]® S1´[0,1] erweitern, so daß H½ S1´{0}=id und H½ S1´{1}=h.

Zum Beweis können wir explizit einen geeigneten Homöomorphismus angeben. Sei d:S1´[0,1]® S1 eine Homotopie zwischen der Identität d0 und h=d1, dann nehme für H die Abbildung

(y,t)®(d(y,t),t)

Bemerkungen:

1) Insbesondere kann ein Homöomorphismus zwischen zwei Binionen B1 und B2 zwischen zwei Grenzlinien beliebig vorgegeben werden. Seien dazu Homöomorphismen h1:B1®S1´[0,1] und h2:B2®S1´[0,1] und o.B.d.A. ein Homöomorphismus h:h1-1(S1´{1})®h2-1(S1´{1}) vorgegeben. Durch Spiegelung von S1´[0,1] kann stets erreicht werden, daß h2°h°h1-1½S1´{1} homotop zur Identität ist. Dann ergibt sich nach (*) ein Homöomorphismus H, so daß h2-1°H°h1½h1-1(S1´{1})=h.

h:h1-1(S1´{1}) ÌB1

h1
®

S1´[0,1]

¯h ¯H

h:h2-1(S1´{1}) ÌB2

h2
®

S1´[0,1]

2) Ist hierbei B1=B2, h1=h2, h1-1(S1´{1}) ein Kreis und h homotop zur Identität, z.B. eine Drehung, dann ist das so konstruierte H auf der anderen Grenzlinie die Identität.

3) Schließlich kann ein zur Identität homotoper Homöomorphismus h auf dem Rand von SGn zu einer homöomorphen Selbstabbildung von SGn erweitert werden. Wählen wir nun für jedes iÎ {1,...,n-1} ein si>ri und ein sn=s0> 0, so daß die Grundbedingung si+si+1<2/n noch erfüllt ist. Wir können Kreisringe Kr(M,r,R) vermöge der Abstandsfunktion von M auch als Binion auffassen. Dann kann auf jeder der Binionen bi=Kr(xi,ri,si) und bn=Kr(O,1-sn,1) gemäß (*) ein Homöomorphismus Hi angegeben werden, der auf der einen, zum Rand von SGn gehörigen Grenzlinie mit h, auf der anderen mit der Identität übereinstimmt.

Grundformen n-ter Klasse Gn erhält man übrigens auch für Werte xi wie oben, ri£1/2n. Falls rj<1/2n, wähle ein sj mit 1/2n<sj<1/n. Dann gibt es nach Bemerkung 2) einen Homöomorphismus hj:Kr(xj,rj,sj)®Kr(xj,1/2n,sj), der auf dem äußeren Rand die Identität ist. hj setzt sich mit der Identität auf dem Komplement von Kr(xj,rj,sj) in Gn zu einem Homöomorphismus Gn®SGn zusammen.

Weitere Grundformen n-ter Klasse Gn erhält man für Werte xi und ri, die die Grundbedingungen -1=x0<x1<...<xn-1<xn=1 und ri+ri+1<xi+1-xi mit r0=rn=0 erfüllen. Zunächst wähle man falls rj>1/2n ein sj>rj, so daß die Grundbedingungen mit sj anstelle rj noch erfüllt werden. Dann gibt es wie oben einen Homöomorphismus Kr(xj,rj,sj)®Kr(xj,1/2n,sj), der sich auf ganz Gn ausdehnen läßt, so daß im Bild insbesondere die Grundbedingungen mit 1/2n anstelle rj noch erfüllt sind. So kann man erreichen, daß in Gn stets die Bedingung ri£1/2n zusätzlich zu den Grundbedingungen erfüllt ist.

Sei nun xj der größte unter den xi, der kleiner als (2j/n)-1 ist. Dann ist insbesondere xj+1, falls es noch vorkommt, größer oder gleich (2(j+1)/n)-1. Wähle nun sj, so daß 1/n>sj>rj ist und die Grundbedingungen mit sj anstelle von rj noch erfüllt sind. Es gilt dann xj-1+rj-1<xj-sj und (2j/n)-1+sj<xj+1-rj+1. Eine Drehung von 180° der Kreisscheibe Ks((((2j/n)-1+xj)/2,0),(((2j/n)-1-xj)/2)+rj) um ihren Mittelpunkt M bildet nun xj auf (2j/n)-1 ab, rj bleibt erhalten, ebenso die Grundbedingungen. Auf Kr(M,(((2j/n)-1-xj)/2)+rj,(((2j/n)-1-xj)/2)+sj) gibt es nach Bemerkung 2) zu Lemma (*) einen Homöomorphismus, der auf dem äußeren Rand identisch ist und auf dem inneren Rand die Drehung von 180° mitmacht. So kann nach endlich vielen Schritten unter Erhaltung der Grundbedingungen die Relation xj³ (2j/n)-1 erreicht werden. Mit der analogen Methode kann auch jeweils der kleinste unter den xi, der größer als sein Sollwert ist, mittels eines Homöomorphismus auf Gn mit diesem in Übereinstimmung gebracht werden. So erreichen wir nach endlich vielen Schritten xi=(2i/n)-1 und ri£1/2n für alle i. Für diesen Fall ist die topologische Übereinstimmung mit SGn bereits erwiesen.

Als nächstes kann die topologische Übereinstimmung zwischen einer Union U und SG1 gezeigt werden. Der kritische Punkt P in U sei o.B.d.A. ein Minimum und der Funktionswert auf einer Randkomponente von U sei f(P)+c. Nach dem Lemma von Morse gibt es zunächst in einer Umgebung V von P eine Karte u:V®R2, so daß f°u-1(x,y)=f(P)+(x2+y2) für (x,y)ÎV. Wähle in u(V) eine kompakte e-Umgebung Ue des Nullpunkts mit e<1 und e2<c. Nun ist f-1[f(P)+e2,f(P)+c] eine Binion und es gibt nach Bemerkung 1) zu Lemma (*) einen Homöomorphismus f-1[f(P)+e2,f(P)+c]®Kr(O,e,1), der auf dem inneren Rand mit u:f-1[f(P),f(P)+e2]®Ue übereinstimmt. Damit haben wir einen Homöomorphismus U®Ue+Kr(O,e,1)=Ks(O,1)=SG1.

Wir wollen nun Satz (8) beweisen und dabei die kombinatorische Tatsache ausnutzen, daß jede Permutation durch endlich viele Transpositionen benachbarter Elemente erzeugt werden kann. Die n Grenzlinien gi von SGn seien gezählt gi:=K(xi,ri) und gn:=S1. Für alle i£n-1 gibt es einen Homöomorphismus Hi,i+1:SGn®SGn, so daß Hi,i+1(gi)=gi+1, Hi,i+1(gi+1)=gi und Hi,i+1(gj)=gj für alle j¹i,i+1. Wähle dazu für i£n-2 zwei Zahlen s und t mit 3/2n<s<t<5/2n. Hi,i+1 setzt sich dann aus einer starren Drehung um 180° auf Ks((((2j+1)/n)-1,0),s), der Identität außerhalb von Ks((((2j+1)/n)-1,0),t) und einem Homöomorphismus gemäß Bemerkung 2) zu Lemma (*) auf Kr((((2j+1)/n)-1,0),s,t), der auf seinen Rändern K((((2j+1)/n)-1,0),s) und K((((2j+1)/n)-1,0),t) mit der dort bereits definierten Abbildung übereinstimmt. Bleibt die Transposition Hn-1,n zu konstruieren. Damit wird insbesondere gezeigt, daß gn, obwohl es in der Ebene die übrigen Grenzlinien von SGn umschließt, topologisch nicht vor ihnen ausgezeichnet ist. Darauf hat auch Möbius [§.11] hingewiesen:

Zusatz. Ein von einer geschlossenen Linie begrenztes Stück einer Kugelfläche - oder, wie man auch sagen kann: eine Kugelfläche mit einer Öffnung - ist eine Grundform der ersten Classe. Ebenso ist eine Kugelfläche mit zwei, drei, u.s.w., n Öffnungen eine Grundform der zweiten, dritten, u.s.w., nten Classe.

Denn ist a die Grenzlinie einer der n Öffnungen, und A ein Punkt der Kugelfläche, welcher innerhalb des von a umschlossenen und daher wegzudenkenden Theiles der Fläche liegt, und projicirt man von A aus die Linie a und die Grenzlinien der übrigen Öffnungen auf eine Ebene, welche auf dem durch A zu legenden Kugeldurchmesser normal ist, so erhält man in der Ebene ein System von n geschlossenen Linien, von denen diejenige, welche die Projection von a ist, die n-1 übrigen umschliesst, und damit eine ebene Grundform der nten Classe. Ersichtlich tritt aber diese ebene Fläche mit der mit n Öffnungen versehenen Kugelfläche in elem. verwandtschaftliche Beziehung, sobald man jedem Punkte der letzteren seine, zufolge der Annahme von A, stets in endlicher Entfernung bleibende Projection auf die Ebene entsprechend setzt.

Eine Grundform der nten Classe lässt sich hiernach auch als eine Fläche definiren, welche mit dem von n geschlossenen Linien begrenzten Theile einer Kugelfläche el. verwandt ist. Es hat diese Definition vor der früheren durch eine von n geschlossenen Linien begrenzte Ebene den Vorzug, dass, während in der Ebene eine gewisse Grenzlinie von den übrigen sich durch Umschliessung dieser übrigen unterscheidet, auf der Kugelfläche eine jede der Grenzlinien die jedesmal übrigen umschliessend angesehen werden kann, und dass daher das Willkührliche in der Art, nach welcher man von zwei el. verwandten Grundformen die Grenzlinien der einen den Grenzlinien der andern entsprechend setzen kann (vergl. § 5.), bei der Kugelfläche klarer noch, als bei der Ebene, in die Augen fällt.

Der Einfachheit halber wollen wir etwas anders vorgehen. Ein dünner Kreisring Kr(O,1-e,1) in SGn werde zunächst topologisch auf Kr(O,1-e,1+e) ausgedehnt, mit Hilfe eines Homöomorphismus H, der auf Ks(O,1-e) identisch ist. H(SGn), das SGn enthält, liege nun in der x,y-Ebene des R3. SGn werde längs der z-Richtung auf die untere Hemisphäre von S2 projiziert. Von Kr(O,1,1+e) werde ein Homöomorphismus zu Ks(O,1)\Ks(xn-1,rn-1), das die Grundbedingungen für G2 erfüllt, hergestellt, der auf K(O,1) identisch sei. Dieses G2 werde längs der z-Richtung auf die obere Hemisphäre von S2 projiziert, das Bild von gn liegt nun mit gn-1 symmetrisch zur x,y-Ebene. Jetzt wähle man zwei Zahlen s und t mit xn-2+rn-2<s<t<xn-1-rn-1. Das Stück von S2, wo x³t ist, drehe man 180° um die x-Achse, während das Stück von S2, wo x£s ist, festbleibt. Das Stück s£x£t in S2 ist eine Binion und kann daher nach Bemerkung 2) zu Lemma (*) topologisch abgebildet werden, so daß die Abbildung auf den Rändern mit den dort bereits definierten Abbildungen übereinstimmt. Nach Umkehrung der vorausgegangenen Schritte erhalten wir die gewünschte Transposition Hn-1,n. So ist also auf SGn für jede Permutation s von {1,...,n} die entsprechende Permutation ihrer Grenzlinien mit Hilfe eines Homöomorphismus Hs zu erreichen. Sind also a und b Grundformen der n-ten Klasse mit den Grenzlinien a1,...,an bzw. b1,...,bn, so gibt es Homöomorphismen ha:a®SGn und hb:b®SGn, und hb-1°Hs°ha ist für eine geeignete Permutation s ein Homöomorphismus, der die Forderungen von Satz (8) erfüllt.

Jetzt kann auch Satz (9) bewiesen werden. Seien Homöomorphismen h1:c®SGn und h2:y®SGn gegeben. Mit Hinweis auf Satz (8) kann angenommen werden, daß unter h2-1°h1:c®y jede Grenzlinie auf sich selbst abgebildet wird. Bei orientierten Flächen sind die Grenzlinien als Ränder von c und y entgegengesetzt orientiert. Da stets eine orientierungsumkehrende Spiegelung von SGn möglich ist, kann angenommen werden, daß h2-1°h1, eingeschränkt auf die Grenzlinien von c, die Orientierung umkehrt. h2-1°h1 ist also auf jeder Grenzlinie homotop zur Identität, genauso h2°h1-1, das nur auf den Grenzlinien von SGn definiert ist. Nach Bemerkung 3) zu Lemma (*) kann h2°h1-1 zu einer homöomorphen Selbstabbildung H auf SGn erweitert werden. h2-1°H°h1 ist also ein Homöomorphismus, der die Bedingungen von Satz (9) erfüllt.

Die Verheftung zweier Grundformen a und b, die genau eine Grenzlinie g gemeinsam haben, aber nicht beide zur ersten Klasse gehören, ist wieder eine Grundform. Seien h1:a®SGm und h2:b®SGn Homöomorphismen, o.B.d.A. n³m und n³2, so daß die gemeinsame Grenzlinie g auf die äußere Grenze K(O,1) von SGm und auf die innere Grenze K(x1,r1) von SGn abgebildet wird, was mit Satz (8) immer möglich ist. Die lineare Abbildung l mit der Vorschrift (x,y)®(r1x+x1,r1y) bildet SGm in die Öffnung Ks(x1,r1) von SGn ab. Nach Bemerkung 3) zu Lemma (*) läßt sich h2 so angeben, daß es auf g mit l°h1 übereinstimmt. Das Bild von a+b unter dem zusammengesetzten Homöomorphismus erfüllt dann mit den m-1 verkleinerten inneren Grenzlinien von SGm und den verbleibenden n-2 inneren Grenzlinien von SGn die Grundbedingungen für SGm+n-2.

Es bleibt Satz (6) zu beweisen. Sei also eine echte Teilmenge aus der Menge der Grenzlinien von SGn gegeben. Mit Satz (8) sind es o.B.d.A. g1,...,gm mit m<n. Die gesuchte Linie ist dann K(((m+1)/n)-1,m/n). Sie dient dann für die eine Grundform als innere Grenzlinie und für die andere - nach deren zentrischer Streckung um den Faktor n/m - als äußere Grenzlinie.

Der schwierigste und letzte Schritt besteht in dem Nachweis, daß jede Ternion homöomorph zu SG3 ist. Faßt man SG3 als Binion mit angeheftetem Henkel auf, ist das eine Aussage der Morse-Theorie, die als Diffeomorphie-Aussage in beliebigen Dimensionen bei Smale [1961, 403, Theorem (6.1)] bewiesen wird.

Hirsch reduziert die Klassifikation der Flächen, was nach seiner eigenen Einschätzung [1976, 188] von Möbius im Ansatz vorweggenommen wurde, auf eine ähnliche Aussage: Ein Flächenstück mit einer Morsefunktion, die genau zwei Minima, einen Sattelpunkt und keinen weiteren kritischen Punkt enthält, ist diffeomorph zur Einheitskreisscheibe [Hirsch 1976, 189 und 194-199].

Sei also in diesem Abschnitt f:T®R die auf die Ternion T eingeschränkte Morsefunktion, wobei T genau einen Sattelpunkt P enthalte und der Rand von T ganz in den beiden Niveaus f-1({a}) und f-1({b}) enthalten sei. Ferner sei f(P)=c und u:V®R2 eine Karte für eine Umgebung V von P, so daß f°u-1(x,y)=c+x2-y2 für alle (x,y)Îu(V). Sei Ue eine ganz in u(V) gelegene e-Umgebung des Ursprungs. Ferner benötigen wir eine Morsefunktion F, die in u-1(Ue) etwas größer als f ist und dort wie f den Sattelpunkt P und keinen weiteren kritischen Punkt hat. Außerhalb von u-1(Ue) soll F mit f übereinstimmen. Dazu benötigen wir eine C¥-Funktion µ:R®R, deren Existenz wir voraussetzen, mit µ(0)=e2/2, µ(r)=0 für r>e und -1<µ'(r)£0 für alle r. Definiere

He(x,y):=µ(x2+y2) für (x,y)ÎUe

und He(x,y)=0 sonst.

Es sei also F=f+He°u. Weil F(P)=c+e2/2 ist, enthält F-1[a,c+(e2)/4] keinen kritischen Punkt und besteht aus lauter Binionen. Ebenso besteht f-1[c+(e2)/4,b] aus lauter Binionen. f-1[a,c+(e2/4)]\F-1[a,c+(e2/4)] wird nun durch u homöomorph auf den "Henkelkörper" H= {(x,y)ÎR2½x2-y2£e2/4, x2-y2+He(x,y)³e2/4} abgebildet, der punktsymmetrisch zum Ursrung liegt. Das Innere von H liegt in Ue, denn im Innern von H gilt x2-y2<e2/4 und x2-y2+He(x,y)>e2/4, also insbesondere He(x,y)>0. Der Rand von H enthält die beiden Hyperbeläste x2-y2=e2/4, soweit sie im Abschluß von Ue liegen, denn dort ist wegen He³0 auch die zweite Bedingung erfüllt. Die beiden anderen Randstücke mit x2-y2+He(x,y)=e2/4 liegen jeweils vollständig in einem der Bereiche y>0 und y<0 und heißen dementsprechend k+ und k-. Die beiden Hyperbeläste, die nach ihrer Lage im Bereich x>0 oder x<0 mit h+ und h- bezeichnet seien, werden durch u-1 homöomorph in das Niveau f-1({c+e2/4}) abgebildet. Dabei sind genau die beiden Fälle zu unterscheiden, daß u-1(h+) und u-1(h-) in einundderselben oder verschiedenen geschlossenen Linien von f-1({c+e2/4}) liegen.

Im ersten Fall werden die vier Eckpunkte von H, wie ich die Punkte

e1=((5/8), (3/8))

e2=(-(5/8), (3/8))

e3=(-(5/8),-(3/8))

e4=((5/8), -(3/8))

nennen möchte, in ihrer zyklischen Reihenfolge auf die geschlossene Linie l abgebildet. Die Reihenfolge (1,3,2,4) impliziert die Nichtorientierbarkeit der Fläche, steht also im Widerspruch zu der an anderer Stelle bereits gemachten Voraussetzung der Orientierbarkeit. Die Reihenfolge (1,2,4,3) steht im direkten Widerspruch zur homöomorphen Abbildung. Damit bildet der zwischen u-1(e1) und u-1(e2) liegende Abschnitt von l zusammen mit u-1(k+) eine geschlossene Linie l' im Niveau F-1({c+(e2/4)}), ebenso bildet der zwischen u-1(e3) und u-1(e4) liegende Abschnitt von l zusammen mit u-1(k-) die geschlossene Linie l".

Da ein Homöomorphismus zwischen zwei Binionen zwischen zwei Randkomponenten beliebig vorgegeben werden kann, worauf ich in Bemerkung 1) zu Lemma (*) hingewiesen habe, läßt sich der Homöomorphismus u:f-1[a,c+(e2/4)]\F-1[a,c+(e2/4)]®H folgendermaßen ausdehnen. Zusätzlich seien die Bögen (e1,e2) und (e3,e4) auf dem Rand von Ue mit l+ und l- bezeichnet. Wähle einen Homöomorphismus von l' nach k++l+, der auf u-1(k+) mit u übereinstimmt, und entsprechend einen von l" nach k-+l-, der auf u-1(k-) mit u übereinstimmt. Aus den entsprechenden Teilen von diesen setzt sich ein weiterer Homöomorphismus von l nach l++h++l-+h- zusammen. Die Zusammenhangskomponenten von l' und l" in f-1[a,c+(e2/4)] sowie l in F-1[a,c+(e2/4)] sind Binionen und deshalb homöomorph zu B'=(k++l+)´[-1,0], B"=(k-+l-)´[-1,0] und B=(l++h++l-+h-)´[0,1] in R3 vermöge einer Abbildung u*:T®H+B+B'+B", die auf H mit u übereinstimmt.

Die Homöomorphie zwischen H+B+B'+B" und einer zu SG3 homöomorphen Grundform der dritten Klasse kann auf elementare Weise gesehen werden. Sei S+ der Schnittpunkt der Tangenten an h+ in e1 und e4, S- sei -S+. h+ und h- können nun mittels Zentralprojektionen Z+ bzw. Z- von S+ bzw. S- aus homöomorph auf die in K(O,e) liegenden Bögen (e1,e4) und (e2,e3) abgebildet werden. Aus Z+, Z- und der Identität auf l+ und l- setzt sich der Homöomorphismus Z:(l++h++l-+h-)®K(O,e) zusammen. Daraus ergibt sich auch eine homöomorphe Abbildung (l++h++l-+h-)´[0,1]®Kr(O,e,1) mit der Vorschrift (s,t)®(t+e)Z(s)/(1+te) und folgende homöomorphe Abänderung von u in den Kegelbereichen von h+ bezüglich S+ und h- bezüglich S-. In diesen Kegelbereichen läßt sich jeder Punkt mit Ausnahme der Zentren eindeutig als ts mit tÎ(0,1] und sÎh++h- darstellen, die Abbildung ts®tZ(s) stimmt auf dem Rand der Kegelbereiche mit den dort bereits angegebenen Homöomorphismen überein. Wähle nun in den Innenräumen von k++l+ und k-+l- die Punkte p+ und p- auf der y-Achse und ein d, so daß die Kreise K(p+,d) und K(p-,d) noch ganz im jeweiligen Innenraum liegen. Weil die Abschlüsse dieser Innenräume konvex sind, gibt es zu jedem darin liegenden Punkt p eine von p+ bzw. p- ausgehende Zentralprojektion p(p) in k++l+ oder k-+l-. Der von k++l+ und K(p+,d) berandete Bereich wird nun durch die Abbildung p®(p(p),(|p-p+|-|p(p) -p+|)/(|p(p) -p+|-d)) homöomorph auf B'=(k++l+)´[-1,0] abgebildet Die Einschränkung dieser Abbildung auf k++l+ ist die Identität. Dieselbe Betrachtung für den von k-+l- und K(p-,d) berandeten Bereich ergibt sich durch Spiegelung an der x-y-Ebene.

Eine ähnliche Betrachtung kann für den Fall durchgeführt werden, daß die Urbilder unter u von h+ und h- in verschiedenen geschlossenen Linien von f-1({c+(e2/4)}) liegen. Dann bezeichnen wir mit l+ und l- die auf dem Rand von Ue liegenden Bögen (e2,e3) und (e4,e1). T ist dann wieder homöomorph zu H+B+B'+B", wobei B=(k++l++k-+l-)´[-1,0], B'=(h++l+)´[0,1] und B"=(h-+l-)´[0,1].

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